
Zwischen Klöstergärten und Gewächshäusern
Ein Tagesausflug auf die Reichenau steht heute auf unserem Plan. Für mich klingt das wie ein Ausflug in die Geschichte. Schließlich heißt die Reichenau auch „die Klosterinsel“. Mehr als 1000 Jahre reicht diese Geschichte zurück bis ins frühe Mittelalter. Damals – im Jahr 724 – soll Bischof Pirmin auf die Insel im südlichen Bodensee gekommen sein, um hier das erste Kloster nördlich der Alpen zu gründen. Drei große Kirchen gibt es heute auf der Insel: St. Georg im Süd-Osten in Oberzell, das Münster St. Maria und Markus in der Mitte der Insel und St. Peter und Paul fast an der Nord-Westspitze. Alle drei kann man gut von dem anderen Ufer des Gnadensees aus sehen.
Eine große Skulptur des Heiligen Pirmin sehen wir gleich nachdem wir über den langen Pappeldamm auf die Insel geradelt sind.
Die größte Insel im Bodensee ist ideal für einen Radausflug
Die Reichenau ist die größte Insel im Bodensee. Sie ist 4,5 Kilometer lang, 1,5 Kilometer breit und ideal geeignet, um sie mit dem Fahrrad zu erkunden. Viele Touristen machen das. Auf der Reichenau gibt es für die Radler sogar extra eine Art Rundkurs. Immer wieder findet man auf dem Asphalt Markierungen, denen man folgen kann, um sicher und meist abseits des Autoverkehrs von Oberzell nach Mittelzell, weiter nach Niederzell und dann zurück zum Pappeldamm zu kommen.
Schnell wird klar, dass die Reichenau viel mehr ist als eine Klosterinsel mit einer Menge mittelalterlicher Geschichte. Sie hat sich auch einen internationalen Ruf als Zentrum für den Obst und Gemüse-Anbau erworben. Und auch das sehen wir deutlich. Immer wieder kommen wir an großen Gewächshäusern vorbei. Die exzellente Lage und das warme Bodensee-Klima alleine reichen offenbar schon lange nicht mehr aus, um in der harten Konkurrenz des Marktes zu bestehen. Schnell und viel muss es sein. Das gilt auch für die Erzeugnisse auf den Anbauflächen der Insel. So wird unsere kleine Reise in die Geschichte zu einem Ausflug zwischen Klostergärten und Gewächshäusern. Das ist nicht abwertend, aber es gehört eben dazu. Auch beim Fotografieren merke ich es oft. Ich sehe wunderschöne Kirschbäume in voller Blüte. Wenn ich dann durch den Sucher meiner Kamera schaue, fällt mir auf, dass schon wieder ein paar große Glasflächen mit im Bild sind.

Trotzdem hat die Reichenau ihre romantischen Seiten und Geschichtsfreunde finden reichlich Attraktives für Kamera und Notizbuch. Wir stoppen als Erstes bei St. Georg. Schon von weitem hat man den gelben Turm der Kirche im Blick. Sie steht etwas rechts der Straße auf einem kleinen Hügel. Ende des 9. Jahrhundert wurde sie von Abt Hatto erbaut, erfährt man auf dem interessanten Bodenseeblog „Textdestille.de“ von Daniela Frey. Beeindruckend sind die Wandmalereien im Innern der Kirche. Sie wurden im zehnten Jahrhundert gefertigt und erzählen mit vielen Bildern die Geschichte der Heilungen Jesus. Wer sich genauer interessiert, kann Abbildungen mit ausführlichen Erläuterungen im Museum gegenüber der Kirche finden. Dort steht man Kopien der Bilder direkt gegenüber. Bibeltexte und Erläuterungen machen es möglich, die mittelalterliche Bildsprache besser zu verstehen. Mich hat das beeindruckt. Ich empfehle es jedem, der in die Gegend kommt und sich für Mittelalter und Kirchengeschichte interessiert. Es ist authentisch und leicht verständlich. Ich habe etwas Neues gelernt, ohne meinen Urlaubsmodus verlassen zu müssen. Ein kleines Beispiel: Jesus als Heiler in der Geschichte des Lazarus, den Jesus von den Toten erweckt, nachdem er schon vier Tage gestorben war. „Er riecht schon“, warnt ihn jemand, bevor das Grab geöffnet wird. In der Bilderfolge in St. Georg zeigt eines der Gemälde dazu passend zwei Menschen, die sich die Nase zuhalten. Es ist wie ein Mittelalter-Comic und vielleicht ein Anstoß, mich mit der Kirchenmalerei der Romanik etwas näher zu befassen.

Weiter geht es zum Münster: St. Maria und Markus ist wesentlich größer als St. Georg. Bei mir hinterlässt die älteste der Reichenauer Kirchen dennoch weniger Eindruck. Vielleicht liegt es daran, dass das Kloster im Laufe der Jahrhunderte immer wieder umgebaut wurde, wie Daniela Frey berichtet. Die Gebäude, die man heute sieht, stammen aus der Zeit des Barock.
Ähnlich bei St. Peter und Paul. Die erste Kirche wurde bereits um 800 eingeweiht. Im 18. Jahrhundert wurde sie neu gestaltet. Immerhin kann man noch ein paar Wandmalereien aus dem 12. Jahrhundert sehen.
Aber so ist es ja oft. Über die Zeit kommt Schicht für Schicht zur Geschichte dazu. Das Neue ersetzt das Alte. Der Begriff Denkmalschutz war in früheren Jahrhunderten noch nicht bekannt.
Bei St. Peter und Paul werfen wir ebenfalls einen Blick ins angrenzende Museum und ich bin erneut erstaunt. Es gibt interessante Verweise auf die Landwirtschaftsgeschichte der Insel Reichenau. Wegen des milden Klimas entwickelte sich dort schon früh ein Zentrum des Obst- und Gemüseanbaus.
Und das merkt man heute noch. Wir kommen an Feldern, Weinstöcken, Obstbäumen und Kräutergärten vorbei – aber eben auch den schon erwähnten Gewächshäusern.
Einen Stopp legen wir an der Nord-Westspitze im Garten eines Restaurants am Campingplatz ein. Dort haben wir einen hervorragenden Blick über den Untersee Richtung Mettnau und Radolfzell. Wir essen leckere Bärlauch-Spaghetti und bleiben anschließend noch für eine Tasse Kaffee in der Sonne sitzen.
Die Burg Schopflen hat früher den Eingang zur Insel bewacht
Auf dem Rückweg halten wir an einer Burgruine kurz bevor der Weg zurück auf den Pappeldamm führt. Die Schopflen war früher eine Burg, die im 13. Jahrhundert den Zugang zur Insel schützen sollte. Im Konstanzer Fischerkrieg wurde sie 1365 zerstört, berichtet die Internetseite Reichenau-Tourismus.de. Heute steht in den Resten der Ruine ein großes Metallgerüst mit einer Beobachtungsplattform, die einen guten Blick auf das Naturschutzgebiet Ermatinger Becken ermöglicht. Weil aber im Frühjahr 2025 fast rekordverdächtiges Niedrigwasser im südlichen Bodensee herrscht, sind dort kaum Wasservögel zu sehen.
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