Nicht nur der Hund schaut zu
Die Frage kommt für mich ganz überraschend: „Fotografieren Sie Pilze?“, will ein Mann wissen, den ich zunächst gar nicht sehen kann. Ich höre nur seine Stimme, sonor und dunkel. Es muss ein älterer Herr sein. Ich hocke hinter einem Baum auf einer kleinen Böschung im Lechlumer Holz nördlich von Wolfenbüttel. Auf der anderen Seite des Baumes führt ein Weg entlang, ein Naturlehrpfad, den die Landesforsten dort angelegt und „Löwe-Pfad“ getauft haben. Auf dem Pfad ist der ältere Herr mit zwei Begleitern und einem Hund unterwegs. Nun sind sie alle stehengeblieben, um zu begutachten, was ich da so treibe.
„Ja“, sage ich. „Hier steht ja dieser tolle Fliegenpilz.“ Ich komme ein wenig aus der Hocke hoch, um Beine und Rücken gerade zu machen.
„Da hinten habe ich gestern Hallimasch gesehen“, sagt der Mann: „Ganz viele.“
„Oktober ist Pilzsaison“, antworte ich. Eigentlich interessieren mich die Hallimasch nicht so sehr, aber unhöflich sein will ich auch nicht.
Lieber will ich endlich meinen Fliegenpilz fotografieren. Es soll ja mehr als ein bisschen Knipserei werden. Und dazu braucht es Zeit und die Möglichkeit, ganz abzutauchen in das, was man tut. Ein Flow-Gefühl nennt das die Psychologie. Entschleunigung würde es ein Coach nennen. Ich sage zu Hause: Ich gehe mal raus fotografieren - und dann lasse ich alles für eine Weile hinter mir.
So stelle ich es mir jedenfalls vor, wenn ich losziehe. Direkt neben einem viel genutzten Wanderweg im Wald ist es aber gar nicht so einfach, die nötige Ruhe zu bekommen.
Jetzt guckt sogar noch der kleine Hund zu. Der Terrier ist mit den drei Spaziergängern unterwegs und hat nun meine Kamera entdeckt, die ich ganz dicht am Boden platziert habe, um den Pilz quasi auf Augenhöhe abzulichten. Der Hund guckt so neugierig, dass ich fast erwarte, dass er nun auch anfängt zu fragen, was das soll. Tut er aber nicht. Ich kann sogar die Gelegenheit nutzen, schnell den Auslöser zu drücken und Pilz und Hund auf ein Bild zu bannen. Prima. Dann zieht die Hallimasch-Gruppe endlich weiter.
Fliegenpilze sind im Herbst keine Rarität in unseren Wäldern. Sie zählen sogar zu den häufigsten Pilzarten in Deutschland, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Mykologie, die ihn zum Pilz des Jahres 2022 ernannt hat. Der Hintergrund: Fliegenpilze haben eine wichtige Funktion für das Netzwerk der Bäume im Wald. Sie liefern über die Wurzeln der Bäume Wasser und Nährstoffe und erhalten im Gegenzug Zuckerverbindungen, die sie selbst nicht herstellen können.
Nachlesen kann man das bei den oben genannten Pilzexperten.
Mich faszinieren solche Zusammenhänge. Um so mehr habe ich mich auf der Suche nach meinem schönen Fotomotiv geärgert, als ich sah, dass jemand fast alle Fliegenpilze entlang des Weges umgetreten und zerstört hatte – vielleicht weil der Pilz giftig ist. Ein bisschen mehr Neugier und Wissen würde nicht schaden, denke ich. Dabei ist der Bursche mit dem auffälligen roten Kopf nicht einmal ein tödlicher Giftpilz. Berichtet wird von rasendem Puls und von Krämpfen nach dem Verzehr. In Sibirien sollen Schamanen die getrockneten Pilze als Rauschmittel verwendet haben. Berichtet wird aber auch von Erbrechen und mächtigem Kater. Also lässt man besser doch die Finger davon – nur gucken, nicht anfassen – oder einfach fotografieren.
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Die Deutsche Gesellschaft für Mykologie hat den Fliegenpilz um Pilz des Jahres 2022 ernannt.
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